Ein älterer Herr, Alzheimerpatient, zeigt mir auf wunderbare Weise, wie schön einfache Dinge sind. Ob es das gemeinsame Einkaufen auf einem Bauernhof, Füttern von Eseln, Betrachten und Diskutieren von Kunstbildern, Musik hören oder das Beschreiben von Gemüse und Obst, in Art und Geschmack, ist. Noch heute denke ich an Pink Lady, „eine gute Apfelsorte“, an das unmögliche Bedienen von Parkautomaten am Friedhof oder den vertrauten CD-Player. Ohne Hilfe ist es nicht möglich, die geliebte Ehefrau auf dem Friedhof zu besuchen oder die Lieblingsmusik zu hören.
Eines Tages möchte Herr X. Begleitung in einen Schmuckladen. „Der in der Fußgängerzone….“ – wir werden ihn finden…..Es geht gemeinsam los, untergehakt kommt die Erinnerung anhand von doch noch bekannten Geschäften.
Und dann kommen wir ans Ziel. Dort geht Herr X. hinter die Verkaufstheke, begrüßt freundlich das Personal, das uns verwundert ansieht. Hut und Tasche werden abgelegt, aus der Hosentasche kommt ein Schmucketui mit einem kostbaren Ring. – Diesen habe er vor 30 Jahren für seine Frau hier in diesem Laden bei der Chefin gekauft; im Gespräch erfahren wir, dass die Besitzerin in der Zwischenzeit verstorben ist. Nun sollte der Ring als Geschenk eingepackt werden, da er es an eine Bekannte zum Geburtstag verschenken möchte. Möglichst auch „gesäubert“ – sollte er sein. „Das ist doch möglich?“ Die beiden Verkäuferinnen sehen ihn, mich und sich etwas verwundert an. Doch Herr X gibt nicht nach und mit meinem schmunzelndem Blick und wohlwollendem Kopfnicken zu den Damen, haben sie mittlerweile verstanden, ohne dass der Gesundheitszustand eine Bedeutung hat oder gar erwähnt wird. Sie bestaunen den Ring, reinigen diesen, holen eine Verpackung und erstellen eine wunderbare Geschenkschachtel.
Glücklich und dankend nach einer Kaffeekasse fragend, gibt Herr X. fünf Euro in diese. Nimmt die Schachtel, betrachtet sie, freut sich, steckt sie ein. Ich nehme den vergessenen Hut und die Tasche und gemeinsam verlassen wir den Laden. Draußen hakt er sich bei mir ein: „Schön, dass Sie das mitgemacht haben!“
„Ja, ich freue mich auch, dieses Erlebnis zu haben“ und bin ebenso erfreut und zufrieden.
Nun heißt es das Geschenk auch an die Glückliche zu übergeben, ein Patenkind. Als Angestellte einer Bank in der Stadt wird sie bezeichnet, da wo das große rote Sparschwein steht. Wir suchen die Bank auf, an der Empfangstheke wird nach der Dame gefragt, die sich jedoch leider nicht besuchen lässt, da gerade eine Sitzung stattfindet. Herr X. ist so vertrauensvoll und lässt die Schachtel zur Weitergabe bei der Empfangsdame. „Ja gerne gebe ich das weiter“. „Gut“ freut er sich und wir gehen mit der Gewissheit, es wird klappen.
Die Beschenkte lerne ich auf der nach 2 Monaten später stattfindenden Beerdigungsfeier von Herrn X. kennen, zu der mich die Familie eingeladen hat. Sie hat den Ring durch die Sekretärin erhalten und sich – wie ich erfahren habe – sehr gefreut. Als sie die Vorgeschichte hört, war die Freude noch einmal so groß. Auch auf meiner Seite.
Ein wunderbares Erlebnis, das ich nicht vergesse. Vergessen auch nicht, da es selbstverständlich stattfand und ohne den Gesundheitszustand von Herrn X. nicht möglich gewesen wäre. Es hätte nicht stattgefunden, weil wir nie zusammengekommen wären oder weil wir „Gesunden“ uns nicht trauen einfach loszugehen, zu fragen obwohl man die Worte findet.
Er und ich haben uns aufeinander eingelassen. Die Zeit mit Herrn X. ist nun mittlerweile 2 Jahre her und noch heute lebendig.
Fazit: Mut, Dinge zu tun, einfach tun, ohne nachzudenken, was denken die anderen.
S. Daniel, Februar 2017