Ob ihr wohl wisst, dass es mich gibt, dass euer Sohn eine Tochter hat? Leider hat er mich nie kennen gelernt. Schade.
Es ist schon kurios euch nicht zu kennen. Es ist eine Lücke, die ein Leben lang bleiben wird. Und doch verbindet mich Einiges mit euch, mit meinem Vater.
Wie ihr wohl ausgesehen habt? Die Augenpartie habe ich ganz bestimmt von meinem Vater vererbt bekommen. Wo zeigen sich noch Spuren eurer Linie – im Aussehen, in meinem Wesen, meinem Charakter? Ich habe mich das als Jugendliche und auch als junger Erwachsener oft gefragt.
Auch der kreative Teil ist sicher aus euren Genen entsprungen. Von meiner Oma weiß ich, dass sie gut Klavierspielen konnte. Doch dann ist es auch schon aus mit der kreativen Ader mütterlicherseits. Es hätte mich zu gern interessiert welche Fähigkeiten, Stärken, aber auch Schwächen ihr besessen hattet.
Welches Aussehen, welchen Charakter hattest du, Großvater? Du, Großmutter, wie hast du deinen Alltag gelebt, gedacht, gefühlt? Was habt ihr in eurem Leben durchgemacht? Wie habt ihr die Kriegszeiten durchlebt. Ward ihr mit eurem Leben zufrieden?
Es sind so viele unbeantwortete Fragen, Gedanken, Gefühle, die sich in einem dunklen Nichts bündeln. Sie fallen in das Raster der Leere. Diese Spannung ist nicht immer leicht auszuhalten. Es gab Zeiten, wo meine Tochter von sich aus nach den Großeltern väterlicherseits Fragen stellte. Im Laufe meines Lebens habe ich jedoch gelernt, damit umzugehen. Sie wohl auch.
Ich bin gewiss, dass der Tag kommen wird, wo ich schlagartig alles erklärt bekomme, wo ihr vor mir stehen werdet und ich meinem Vater begegnen werde. Darauf bin ich gespannt und bin mir sicher, dass sich dann alles in Wohlgefallen auflösen wird, denn bei Gott, in der anderen Welt, ist ewiger Friede.
Bis dahin liebe Grüße von eurem erwachsenen Enkelkind
I.A.